Die Werkreihe „Musik und Tanz für Kinder“ in der historischen Entwicklung

Ursprünglich „nur“ eine Musikalische Früherziehung, ist die Reihe „Musik und Tanz für Kinder“ inzwischen eine weitgespannte Werkreihe für einen Altersbogen, der vom Kleinkindalter bis in die Grundschule reicht. Dieser Beitrag referiert kurz, wie sich die das Spektrum der Unterrichtswerke mit dem Übertitel „Musik und Tanz für Kinder“ über inzwischen mehr als 30 Jahre hinweg entwickelte.

Wandlungen im Praxisfeld
Seit den 1970er Jahren etablierten Musikschulen die „Musikalische Früherziehung“ (für Kinder von ca. 4-6 Jahren), seit 1974 die „Musikalische Grundausbildung“ (für Kinder von ca. 6-8 Jahren). Lehrpläne des VdM gaben Ziele vor und deuteten Methoden an. Jahr um Jahr wurden mehr Kinder angemeldet. Das Wissen um die besonderen und allgemeinen Werte von Musikerziehung wurde populär und unterstützte den Ausbau der Arbeitsbereiche.

Zwischen Früherziehung und Grundausbildung bestand zunächst eine Abgrenzung: Ein Kind sollte nach der Früherziehung einen Instrumentalunterricht besuchen, ein neu zur Musikschule kommendes 6-jähriges Kind vor dem Instrumentalunterricht die Musikalische Grundausbildung. Diese Regelung wurde mit der Zeit brüchiger, und für die Musikalische Grundausbildung ergab sich ein zunehmend unsicherer Stand. Auch 5-Jährige wollten neu in die Musikschule gehen – vielleicht reichte eine einjährige „Früherziehung“ für sie aus? Manche Schulkinder erlebten die Grundausbildung, die ursprünglich zweijährig konzipiert war, als eine ungeliebte Warteschleife, sie wollten gleich ein Instrument lernen. Auch der verstärkte Früh-Instrumentalunterricht zog Kinder ab. Und einen attraktiven Namen hatte die „MGA“ wahrlich auch nicht zu bieten. So tummelte sich auf ihrem Feld zunehmend ein schmaleres, aber thematisch akzentuiertes Unterrichtsangebot, z. B. mit Trommel-, Chor- oder Theatergruppen, die schulreife Kinder ansprechen konnten. Heute wird das Arbeiten mit 6-8jährigen Kindern oft von der Ganztags-Grundschule bedrängt – oder eröffnen sich damit neue, positive Perspektiven?

Veränderungen gab es auch im frühen Altersbereich. Schon in den 1990er Jahren erklärten Elternratgeber die Bedeutung der Förderung von Sensorium, Motorik und ästhetischer Wahrnehmung bei Kleinkindern. Manche Eltern spürten eigene Defizite, verursacht durch das Schwinden von Traditionen in Familie und Gesellschaft (gemeinsames Singen, erstes Musizieren). Angebote für den Altersraum 0−4 sprossen aus dem Boden.

Die Werkreihe „Musik und Tanz für Kinder“ war stets an den Gegebenheiten und Möglichkeiten des jeweiligen Praxisfeldes orientiert. Sie konnte am Auf- und Umbau von Strukturen und Inhalten vielfach erfolgreich mitwirken, musste gelegentlich aber auch Grenzen ihres pädagogischen Impetus zur Kenntnis nehmen.

Pädagogische Werkstatt Orff-Institut
Früher als an anderen Orten wurden am Salzburger Carl-Orff-Institut, einer Einrichtung der Kunstuniversität „Mozarteum“, Erfahrungen im Unterricht mit Kindern gesammelt. Seit 1963 gab es dafür ein eigenes Gebäude mit offenen, multifunktionalen Räumen. Der Unterricht älterer und jüngerer Kinder war zentraler Teil der Ausbildungsgänge und wurde zum Experimentierfeld für Dozenten und Studenten. Viele Neuerungen in der damaligen Zeit wurden am Orff-Institut erprobt und auch entwickelt: Natürlich die lebendige Verbindung von Musik,  Bewegung (Tanz) und Sprache, die das Orff-Schulwerk dem Institut ins Stammbuch geschrieben hatte. Aber z. B. auch das spontane Notieren von Klängen (grafische Notation), der Instrumentenbau, das Musikhören oder der orientierende Einbezug weiterführender Instrumente. Der Begriff und das Konzept der Elementaren Musik- und Bewegungspädagogik (oder … Tanzpädagogik) wurden hier geprägt. .

So individuell der von den Dozenten geführte Unterricht auch jeweils war, so bunt sich das Spektrum der Unterrichtsmöglichkeiten auch darstellte, in Erziehungsfragen gab es immer Gemeinsamkeiten. Jeder Unterricht war

  • kindorientiert (in engster Resonanz mit den Motiven und Reaktionen der Kinder),
  • prozessorientiert (in seiner Entwicklung flexibel, abhängig von den Ereignissen im Unterricht),
  • bewegungsorientiert (die Bewegungslust der Kinder und ihr Lernpotentional nutzend)
  • erlebnishaltig (von kleinen und größeren Themen ausgehend, die die Kinder aktiv erfahren konnten, von denen sie sich persönlich angesprochen fühlten),
  • dem spielerisch-kreativen Gestalten (musikalisch und auch tänzerisch) verpflichtet.

Viele Menschen hatten seit der Gründung des Instituts von der Pädagogik  dort erfahren, vielleicht bei einem Kursbesuch oder durch Absolventen des Instituts, die hier und dort schon in Praxis und Ausbildung arbeiteten. Das Interesse daran war offenkundig. So ist verständlich, dass es am Orff-Institut selbst zu Überlegungen kam, die pädagogischen Erfahrungen auch in der Breite bekannt zu machen. 1982, mit dem Beginn seiner Tätigkeit, bot sich dem Verfasser dieser Zeilen die Möglichkeit, die Ausarbeitung eines Unterrichtswerks zur Musikalischen Früherziehung zu koordinieren.

Das Werk zur Musikalischen Früherziehung
Dieses erste Werk der Reihe „Musik und Tanz für Kinder“ entstand in einem besonders spannungsreichen Prozess. Dass es die im Orff-Institut bestehende Art des Arbeitens auch außerhalb anregen sollte, darüber war man sich schnell einig. Mühsamer war es, über die Inhaltswelt zu einem Konsens zu finden, sie aufbauend zu strukturieren und für die Kinder in der bestmöglichen Weise erlebnishaft zu fassen. Für alle Materialien musste ein passendes „Design“ entwickelt werden. Das Unterrichtswerk sollte LehrerInnen an die Hand nehmen, aber auch für ihre Entscheidungen und Entwicklungen vor Ort offen sein. Ein wichtiger Schlüssel dazu war die Aufgliederung der Inhaltswelt in „Themen“, die die Hauptinhalte in anschaulich beschriebenen Unterrichtsverläufen vorzeigen, und „Materialien“, die den Unterricht variabel machen. Diese Grundstruktur wurde zum Markenzeichen auch aller nachfolgenden Unterrichtswerke. In ihr ist der „Rote Faden“ des Unterrichtens beschlossen, eine vorgegebene Leitlinie, die sich dennoch biegsam an den konkreten Unterrichtserfordernissen  ausrichten lässt. Die Kinder wurden mit den Persönlichkeiten des „Musikaters“ und der „Tripptrappmaus“, den pfiffigen Indianern „Kluger Mond“ und „Schlaue Feder“ und den „Tamukindern“ angesprochen. An die Zeichnungen in den Heften konnten die Kinder persönliche Erinnerungen aus dem Unterricht heften, sie konnten die Hefte ausmalen und ausgestalten. Eltern bekamen „Elternzeitungen“, pädagogische Broschüren, die zum Mitdenken und Selbermachen mit den Kindern einluden.

Einen ersten Zuspruch fand das Konzept in der Erprobung in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die eine detaillierte Rückmeldung und anschließende Revision einschloss. 1985, nach knapp drei Jahren, war das Werk „Musik und Tanz für Kinder − Früherziehung“ abgeschlossen und erfuhr in den Folgejahren tatsächlich die erhoffte große Aufmerksamkeit. Es zeigte eine Unterrichtsphilosophie auf, nach der man vielerorts bereits gesucht hatte. Zwar sorgten sich manche etwas um die Effizienz dieser Früherziehung, die in ihren Augen das B und Fis nicht genügend erklärte. Doch es dauerte nur ein paar Jahre, und die Reaktionen von Kindern und Eltern bestätigten das Werk in der Praxis. Vielfach wurde ihm eine orientierende Stellung zugesprochen, und die Neuausgabe, erschienen ab 2007, konnte diese offenbar erneut festigen. Eine breite Umfrage am Beginn der Arbeit gab über Bewährtes, wenig Gebrauchtes und dringend Gewünschtes Aufschluss. Behutsam wurden neue zu alten Inhalten gefügt, und eine neue Illustration fasste wieder alles liebenswert zusammen.

Ausweitung der Werkreihe

Musikalische Grundausbildung
Schon im Jahr 1990 war das erste Werk zur Musikalischen Grundausbildung erschienen. Es führte in eine breite Inhaltswelt mit Singen und Sprechen, Elementarem Instrumentalspiel, Bewegung  und Tanz, Musikhören, Instrumenteninformation, Musiklehre und Theaterspielen. Auch dieses Unterrichtswerk war sorgfältig erarbeitet worden, das Interesse daran ging jedoch seit 2000 ff. zurück. Ein Grund lag in der oben beschriebenen Entwicklung im Praxisfeld. Eine Neuausgabe wurde 2013 abgeschlossen: mit dem Unterrichtswerk für Kinder von 6−8 Jahren und dem Entdeckerbuch „Musik voraus“. Das Konzept vereint die Anliegen einer modernen „Grundausbildung“ mit der Orientierung auf das instrumentale Lernen. Bewusst nimmt es das heute aufgesplitterte Unterrichtsfeld in den Blick: durch die Konzentration auf Wesentliches und eine erhöhte Flexibilität in den Unterrichtsmöglichkeiten. Festgehalten wird dabei an dem Anspruch, dass eine basisbildende Ausbildung im Altersbereich 6−8 nie vernachlässigt werden darf, auch wo die Praxis (z. B. mit speziellen instrumentalen oder vokalen Angeboten) eine spezielle Ausrichtung im Blick hat.

Werke für den Instrumentalunterricht
Über Früherziehung und Grundausbildung hinaus weisen die Werke der Reihe „Musik und Tanz für Kinder – Wir lernen ein Instrument“. Sie erschienen ab 1999 für Querflöte, Klavier, Geige, Schlagzeug und Blockflöte. Alle Werke erläutern in ausführlich kommentierten Unterrichtsbeispielen die Möglichkeiten eines kind- und kunstorientierten Gruppenunterrichts, basierend auf dem Musizierangebot in den Instrumentalheften. Die Kinder können in diesem Instrumentalunterricht das Instrumentalspiel als einen Lern-, Gestaltungs- und Reflexionsraum entdecken, in dem ihre Kreativität in jeder Stunde gefragt ist.

Werk für das Kleinkindalter
Ein Unterrichtswerk für das Kleinkindalter erschien 2012. Es reagiert auf die angewachsene Zahl von Eltern-Kind-Kursen und macht für den Altersbereich von 1,5−4 Jahren ein Lernangebot. Eltern und Kinder besuchen den Unterricht gemeinsam, und die Eltern sind mindestens ebenso angesprochen wie ihre Kinder. Zwei Pandabären (Bim und Bam) begleiten durch den viel-sinnlich konzipierten Unterricht. Er festigt zuerst die Beziehung zwischen Kind und Mutter (Vater) im gemeinsamen Sprechen, Singen, Bewegen, Fühlen und Horchen und öffnet dann für die Wahrnehmung der anderen im Raum und das gemeinsame Tun.

Die Rolle des Schott-Verlags
Nur die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem partnerschaftlichen, aktiven Verlag ermöglicht die Erarbeitung und Verbreitung umfangreicher Unterrichtswerke. Es braucht Mut, um ein Werk neu in einem Arbeitsfeld zu platzieren. So war z. B. der Erfolg der Erstausgabe der Musikalischen Früherziehung keinesfalls sicher abzusehen und anfänglich ein Investitionsrisiko. Aber auch alle weiteren Werke und die Neuausgaben konnten (jeweils zur rechten Zeit!) nur durch die tatkräftige Unterstützung und Realisierung durch den Verlag entstehen. Nur so war es möglich, für den gesamten beschriebenen Altersbogen ein aktuelles Unterrichtsangebot zu machen.

Fremdsprachige Ausgabe
Korea: 2013 erschien eine Adaption des aktuellen Werks zur Musikalischen Früherziehung im Verlag Samho Music Publishing.

Werkübersicht „Musik und Tanz für Kinder“
Für Kinder von ca. 2−4 Jahren – Eltern-Kind-Kurse (Ausgabe 2012): Lehrerkommentar mit CD, Elternheft mit CD (Bim und Bam bei uns zu Hause), 2 Kinderbücher (Bim und Bam fangen an / Hallo Bim – Hallo Bam)

Für Kinder von ca. 4−6 Jahren – Früherziehung (Ausgabe 2007ff.): 2 Lehrerkommentare, 4 Kinderhefte mit Elterninfos (Hallo Musikater / Hallo Tripptrappmaus / Hallo Kluger Mond und Schlaue Feder / Hallo Tamukinder), 2 CDs

Unterrichtswerk für Kinder von 6−8 Jahren (Ausgabe 2013): Lehrerkommentar mit CD, Entdeckerbuch „Musik voraus“ mit CD

Für Instrumentalunterricht: Querflöte spielen und lernen (1999), Klavier spielen und lernen (2000), Geige spielen und lernen (2002), Schlagzeug spielen und lernen (2006), Blockflöte spielen und lernen (2007)  

MitarbeiterInnen, über alle Unterrichtswerke hinweg zusammengefasst:

  • HerausgeberInnen: Micaela Grüner, Wolfgang Hartmann, Barbara Haselbach, Rainer Kotzian, Rudolf Nykrin, Hermann Regner, Manuela Widmer
  • AutorInnen: Sabine Anni Enders, Corinna Ensslin, Jutta Funk, Micaela Grüner, Manfred Grunenberg, Iris von Hänisch, Barbara Haselbach, Wolfgang Hartmann, Birgit Herwig, Elsbeth Hörner, Mari Honda, Rainer Kotzian, Uwe Kühner, Rudolf Nykrin, Ines Mainz, Verena Maschat, Barbara Metzger, Torsten Müller, Michaela Papenberg, Christine Perchermeier, Hermann Regner, Petra Sachsenheimer, Ulrike Schrott, Werner Stadler, Hermann Urabl, Manuela Widmer, Ernst Wieblitz, Bianka Wüstehube, Emine Yaprak Kotzian
  • Illustrationen: Joachim Schuster, Stéffie Becker, Hanne Attenning, Maren Blaschke
  • Redakteurinnen: Brigitte Franken, Monika Heinrich, Karin Hedderich

Rudolf Nykrin