Musik unterrichten

Es ist paradox: Für die wesentlichen Bereiche der musikalischen Bildungsarbeit gibt es heute Lehrpläne, die von kompetenten Gremien ausgearbeitet und von Ministerien oder berufenen Verbänden als gültig erklärt wurden. Doch hält man sich im Fach Musik daran?
Wann immer möglich bitte ich Kinder, die in die Grundschule gehen oder einen Instrumentalunterricht erhalten, mir ihre Unterrichtsmaterialien zu zeigen. Oft bekomme ich dann ein mehr oder weniger dürftiges Konvolut von Kopien zu sehen. Manchmal haben die Kinder, je nach Alter und Eigenart und Lenkung der Lehrpersonen, sie farbig ausgestaltet. Das ist schön. Aber die Inhalte sind in ihrem Nebeneinander didaktisch zweifelhaft: Was irgendwie gefiel, was irgendwie passend schien, wurde mal schnell kopiert – und die Chance, einem Kind auch einmal eine wohlüberlegte Inhaltswelt, die sorgfältig aufbereitet wurde (das geht nicht so nebenbei), in die Hand zu geben, wird damit verspielt. Andere Kinder bekommen im Fach Musik ein Schulbuch, es kann aber sein, dass dieses im Unterricht nur selten zur Hand genommen wird.
Es ist kein Wunder, dass der schulische Musikunterricht in weiten gesellschaftlichen Bereichen als wenig erfolgreich gilt und ein vergleichsweises geringes Ansehen erzielt. Häufig unterschlagene Musikstunden, eine zufällige Auswahl von Inhalten und oft von kaum ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern erteilter Unterricht dürften in der Grundschule den Anfang der Misere begründen. Fachleute andererseits stimmen weithin darin überein, dass Musik wie andere Fächer auch aufbauend unterrichtet werden kann. Diesem Widerspruch zwischen Praxis und Theorie des Musikunterrichts muss man nachgehen und ihm begegnen. Dazu − hier notwendigerweise als Unterrichtstheorie expliziert − nun kurze Gedanken.
Eine verantwortungsvolle musikbezogene Bildungsarbeit verwirklicht sich schon im Unterrichtsdetail: dass jede Lehrerin, jeder Lehrer, was immer gerade thematisch ansteht, damit auch die Sache Musik im allgemeinen beleuchtet und erklärt und auch das Verstehen des Sprach- und Zeichensystems für Musik bei den Schülern fortlaufend entwickelt. Das ist schon mit jungen Kindern möglich! In fast jeder Unterrichtsminute kann eine Aufmerksamkeits- und Beobachtungshaltung für Musik gefördert werden.
Im weiteren Blick betrifft die fachliche Verantwortung dann das Unterrichten der didaktisch sinnvollen Inhalte – hier sind wir auch wieder bei den Lehrplänen, die diese zum Ausdruck zu bringen versuchen. Ich kann hier nur knapp und beispielhaft sagen, was mir unverzichtbar erscheint:
−            dass es dem Instrumentalunterricht nicht nur um das Musizieren, sondern auch um das Verstehen von Musik geht − Anlass zu letzterem bietet jede Etüde und jedes Werk, mit dem man sich beschäftigt („Verstehen“ macht gerade auch Kindern Spaß, wenn die Vermittlung gelingt!);
−            dass es im schulischen Musikunterricht nicht nur um flotte Stunden geht, sondern um eine Bildungsarbeit am Gegenstand Musik, der wie andere Gegenstände auch eine Struktur, eine Geschichte und wertvolle Objektivationen hat, die den Anspruch erheben, vermittelt zu werden;
−            dass man im Instrumentalunterricht wie in der Schule (mit jeweiliger Schwerpunktsetzung) zu einem gut ausgewogenen Spektrum an musikalischen Tätigkeiten führt, in dem sich Reproduktion (interpretierendes Musikmachen), Improvisation und Komposition (persönliches Gestalten von Musik), Rezeption (Musikhören) und Reflexion (Nachdenken und Einordnen von Musik) ernsthaft verbinden. Im Erleben dieses Spektrums könnten viele Schüler eine Vorstellung davon bekommen, warum und wie sich Menschen, heute wie früher, in Freizeit und Beruf, der Musik verschreiben, und einige Schüler könnten dabei die eigene Berufung für Musik entdecken.
Ja, Musik soll auch Spaß machen! Aber der Spaß in der Schule muss mit fachlicher Konzentration und der Differenzierung von Wissen und Übersicht verbunden sein. Sonst braucht man keinen Musikunterricht. Noch stellt der Staat immer noch viel Zeit und Geld dafür zur Verfügung. Spaß allein würde es im allgemeinen  Verständnis aber auch dort geben, wo Musik ganz leicht zugänglich ist und der Spaß den Staat nichts zu kosten scheint. (Die Reflexion solcher Spaßkultur und ihrer Folgen wäre aber ein eigenes Thema.)



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